Flucht und Migration gehören zu den drängenden Problemen auf der aktuellen politischen Agenda. Wir sehen gegenwärtig große weltweite Fluchtbewegungen, die durch Armut, Kriegshandlungen, den Druck auf Minoritäten und die Auswirkungen des Klimawandels verursacht sind. Nun ist es bemerkenswert zu sehen, dass sich im Werk Kants eine reiche Palette von einschlägigen normativen Überlegungen findet: Kant erscheint dabei einerseits als Theoretiker eines visionären Kosmopolitismus, andererseits aber auch als (problematischer) Denker des Kolonialismus. Man hat seinen Standpunkt zu Recht als bestimmt durch eine ‚produktive Disharmonie‘ mit der aktuellen politisch-philosophischen Debatte gekennzeichnet (K. Reinhardt 2019: 30). Gerade deshalb lohnen seine Reflexionen über das Weltbürgerrecht und den Welthandel, das Recht auf politisches Asyl, Einwanderung und Ansiedlung, Sklaverei und Rassismus eine gründliche Auseinandersetzung. Folgender Punkt ist hier zentral: In der Schrift Zum ewigen Frieden (1795) und in der Rechtslehre (1797) wird die Idee eines weltbürgerlichen Rechts (ius cosmopoliticum) entwickelt, das auf einem allgemeinen Besuchsrecht beruht. Jeder Mensch weltweit besitzt für Kant in Bezug auf jeden anderen ein ‚Hospitalitätsrecht‘, das die Versklavung von Neuankömmlingen verbietet und die Möglichkeit eines friedlichen Austauschs der Völker anbahnen soll. Kant wendet sich zwar gegen die starke normative Idee eines Weltstaats, weil er die Befürchtung hegt, dieser ignoriere die kulturellen Besonderheiten der Völker und entwickle sich zu einer Diktatur. Die kosmopolitische Ordnung, die Kant im Sinn hat, ist demgegenüber die einer allgemeinen Verrechtlichung zwischenstaatlicher Beziehungen bei gleichzeitiger Beibehaltung einzelstaatlicher Vielfalt. Kant mit den gegenwärtigen Ansätzen einer Philosophie der Migration ins Gespräch zu bringen, erscheint daher als besonders vielversprechendes Unternehmen.